Wir leben heute in einer globalen Welt, wo man schon im eigenen Dorf auf dem Land eine viel höhere kulturelle Diversität hat, als das noch bei unseren Gross- und Urgrosseltern der Fall war. Als Maître de Cabine bei Swissair bewegte ich mich damals zusammen mit meinen Besatzungen in einem sehr anspruchsvollen Umfeld: Wir hatten Passagiere aus der ganzen Welt an Bord und sind in alle möglichen Länder geflogen. Durch diesen Beruf bin ich an Orte gelangt, die ich persönlich sonst wohl nie besucht hätte. Rückblickend ist das ein grosses Geschenk und ein unglaublicher Reichtum an Erfahrungen, den ich sammeln durfte.
Interpersonal Competence – Kleinigkeiten mit grosser Wirkung
Die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe wirken sich auf verschiedene Aspekte des Verhaltens aus, wie zum Beispiel die Körpersprache oder die »Safety Distance«, die man zu jemandem haben sollte, bevor die Person beginnt, sich unwohl zu fühlen. Auch das Berühren anderer Menschen, selbst wenn es nur ein Arm oder eine Schulter ist, ist in gewissen kulturellen Kontexten ein No-Go. Des Weiteren ist Augenkontakt ein Thema, ebenso wie die unterschiedliche Ansprache von Mann und/oder Frau. Selbstverständlich wurden wir damals daraufhin geschult, die entsprechenden Dos and Don’ts zu kennen. Das wahrlich Lehrreichste aber war die Interaktion mit unseren Passagieren respektive wenn wir an den Destinationen in unterschiedlichste Kulturen eintauchten.
Eines der spannendsten Länder war und ist für mich Japan. In Japan hat mich immer wieder die sehr respektvolle Art und Weise im gegenseitigen Umgang tief beeindruckt. Ich kann mich an eine Fahrt im Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszug erinnern: Nachdem der Schaffner mein Ticket kontrolliert hatte und zur Tür weiterging, die in den nächsten Waggon führte, drehte er sich um und verneigte sich kurz. Es sind diese kleinen Gesten des Respekts, die mich beeindrucken. Insbesondere, weil ich der Meinung bin, dass wir bei uns »im Westen« derzeit eine Verrohung der Gesellschaft erleben, durch die gerade diese kleinen Höflichkeiten und freundlichen Gesten mehr und mehr verlorengehen. Diese Zeichen von Respekt, die für den gegenseitigen Umgang und die Qualität der Interaktion eine nicht zu unterschätzende Wirkung haben.
Japaner geben sich vorbildlich
Eines der eindrücklichsten Beispiele war für mich immer der Vergleich zwischen verschiedenen Langstreckenflügen, wie z. B. von Zürich nach Tokio und von Zürich nach Los Angeles: Waren nach einem zwölfstündigen Flug nach Los Angeles die Passagiere ausgestiegen, sah die Flugzeugkabine oft aus, als wäre ein Hurrikan durchgezogen. Zeitungen, Abfall, Plastikbecher, alles Mögliche lag querbeet verstreut. So hinterliessen vorwiegend »westliche« Passagiere eine Flugzeugkabine nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut, soll sich das Putzpersonal darum kümmern, dafür habe ich ja schliesslich bezahlt.“
Als Kontrast dazu steht ein Flug mit vorwiegend japanischen Fluggästen, der ebenfalls um die zwölf Stunden dauert: Nach der Landung bedanken sich die Passagiere nicht nur beim Aussteigen freundlich, auch ist die Kabine im Grunde genommen bereit für den Rückflug: Jeder Platz ist sauber und aufgeräumt. Jeder Passagier hat seinen Abfall selber entsorgt oder sogar eingepackt und mitgenommen. Auch beim Einsammeln der Essenstabletts haben einem die japanischen Passagiere das Tablett ordentlich hingestellt und zum Teil noch mit einer Papierserviette bedeckt in die Hand gegeben.
Zum Vorbild werden im Umgang miteinander
Ein solches Verhalten hat für mich mit gegenseitigem Respekt zu tun. Aus meiner Sicht können wir uns hier viel von den Japanern abschauen und es würde sich in mehr als nur einer Hinsicht lohnen, im Umgang miteinander etwas mehr Respekt aufzubringen.
Das fängt schon an beim respektvollen Umgang mit der Zeit anderer Leute. Als Geschäftsführer oder Führungskraft ist es beispielsweise ein Unding, regelmässig zu spät zu Meetings zu erscheinen, wenn er oder sie gleichzeitig von den Mitarbeitern Pünktlichkeit erwartet. Gleiches gilt für das Überziehen von Meetings. Mit alldem verspielt man sich Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Akzeptanz. Leider ist das in vielen Unternehmen an der Tagesordnung, wie meine Erfahrung in der Arbeit mit Führungskräften über diverse Branchen und Hierarchieebenen hinweg immer wieder bestätigt. Es besteht grosses Potenzial hinsichtlich des Bewusstseins der eigenen Wirkung auf andere und des bewussten Handelns.