Interview mit Fussballerin Sandra Kälin: So kommt man zu echter Teamstärke

Echte Teamstärke hat viele Ansatzpunkte. Dabei können wir viel vom Sport lernen. In diesem zweiten Teil meines Interviews mit Sandra Kälin geht es darum, was Teamstärke und Erfolg mit Selbstkenntnis und Authentizität zu tun haben – und was Teams in Unternehmen davon lernen können.

Sollte man aus Deiner Sicht Stärken stärken und Schwächen schwächen?

Ich denke, es ist auch eine Schwäche, wenn man die Schwächen des anderen nicht kennt. Aus meiner Sicht ist das genauso wichtig.

Was du gerade gesagt hast, hat viel mit Authentizität zu tun, mit Selbstkenntnis und auch letztendlich wieder mit Vertrauen im Zusammenhang mit Verwundbarkeit – also auch offen zu zeigen, wer man ist, wie man ist und wo die eigenen Grenzen sind.

Ich empfinde es als sehr wichtig, dass man den Panzer innerhalb seines Teams loslässt. Ich glaube, es ist absolut essenziell, dass man Schwächen offenlegt, sich gegenseitig hilft, damit umzugehen und das Team auf diese Weise vorwärts treiben kann.

Also benötigt man Selbstkompetenz als Basis für eine hervorragende Teamleistung.

Man muss es selber leben. Ich glaube, das trifft es auf den Punkt.

Für mich ist noch eine andere Frage interessant: Es ist Leistungssport, es herrscht viel Druck – wie gehst Du persönlich oder auch Dein Team mit diesem Leistungsdruck um, der ja in der Wirtschaft ebenfalls sehr hoch ist? 

Ich denke, der Druck ist deswegen so gross, weil noch zu wenig auf den Bereich Sport geachtet wird. Wie ich das sehe, setzen sich im Moment die Leute durch, die das beste Selbstmanagement besitzen. In der Wirtschaft hat man möglicherweise ein bisschen mehr Zeit, weil man auch mit 40 oder 50 erfolgreich werden kann. Im Sport ist das umgekehrt, weil man sehr jung schon auf Spitzenlevel so viele Entscheidungen treffen muss. Da wird aus meiner Sicht noch zu wenig mitgeholfen, weil sich am Ende der durchsetzt, der von Haus aus sprichwörtlich seine Tässchen ordnen kann. Was sehr schade ist, denn auf diese Weise gehen sicher sehr, sehr viele Talente verloren, weil sie vielleicht jetzt gerade technisch, taktisch und mit allen körperlichen Aspekten sehr stark sind, mental jedoch nicht stark genug. Daher denke ich, es würde sehr viel Sinn machen, auch schon im jungen Alter mehr im mentalen Bereich mit den Jugendlichen oder angehenden Profis zu arbeiten, damit sie dort – wie auch im Sport selber – die Techniken erhalten, um mit Druck besser umgehen zu können.

Das stützt auch die These, dass es im Berufsleben nicht nur um die Fachkompetenz geht, sondern insbesondere auch um die Selbstkompetenz mit besonderem Fokus auf das Selbstmanagement: Umgang mit den eigenen Ressourcen, mit den eigenen Emotionen. Gibt es dazu etwas, was Du mir vielleicht noch sagen kannst? Gibt es besondere Ansätze im Umgang mit den eigenen Emotionen, mit Frust, Ärger, Wut und so weiter, die Du empfehlen kannst? 

Ein Einzelsportler mag mir eventuell nicht recht geben, aber ich glaube, dass es einfacher ist, wenn man Teil eines Teams ist. Egal, ob positive oder negative Emotionen, man hat immer Menschen um sich herum, die das Gleiche miterlebt haben. Diese Tatsache macht es ein bisschen einfacher, miteinander zu sprechen. Für mich ist es wichtig, Emotionen nicht zu verdrängen, sondern das Ganze immer wieder anzugehen und darüber zu sprechen. Auch im Positiven. Ein gutes Umfeld ist also sicher wichtig und auch Rituale helfen, um negative Erlebnisse und Gedanken nicht immer mit nach Hause zu nehmen.

Was mir ganz wichtig scheint, ist der Austausch im Team. Denn wenn ich schaue, wie in der Wirtschaft in Teams gearbeitet wird, dann ist da häufig grosses Potenzial – wieder bezüglich Offenheit und Vertrauen, wieder auch im Bereich des offenen Zugebens und Eingestehens, dass man Schwierigkeiten hat, dass man emotional unter grossem Druck steht und so weiter: Diese Art von Kommunikation und Austausch ist nicht unbedingt selbstverständlich.

Aus meiner Sicht fehlt das vielen Unternehmen, aber ich habe das Gefühl, es gibt vielleicht auch einen Zusammenhang: Spitzensportler wissen sehr genau, wer sie sind, wie sie wirken und was ihre Stärken und Schwächen sind. Wohingegen mir in der Wirtschaft schon sehr viele Menschen begegnet sind, die keine Ahnung haben, worin ihre Stärken liegen und wie sie mit ihren Schwächen umgehen könnten. Sie haben vielleicht sogar eine falsche Wahrnehmung von sich selber. Ich empfinde es als viel schwieriger, in der Wirtschaft offen miteinander umzugehen und diese Sachen anzugehen. Vieles wird einfach unter den Teppich gekehrt und versteckt. 

Ja, das ist auch wieder ein Kernelement, wenn es nämlich darum geht, dass im Rahmen der Selbstkompetenz diese Selbstkenntnis unbedingt gefördert werden muss – dass ich mich überhaupt erst einmal mit mir selber auseinandersetze und mir bewusstmache, wer ich eigentlich bin, was meine Kernkompetenzen und meine Kernqualitäten sind und wo ich viel besser als andere bin. Jeder sollte sich diese Fremdwahrnehmung einholen.

Das sehe ich auch so. Sicherlich ist es für manche noch schwierig, den sprichwörtlichen Spiegel hingehalten zu bekommen. Möglicherweise löst das sogar Flucht aus – oder Abwehr, Nicht-wahrhaben-Wollen oder Selbstschutz.

Wie geht Ihr im Sport mit Feedback, Rückmeldung, Fehlern und so weiter um?

Sehr direkt. Das hat sich als absoluter Vorteil herausgestellt. Man lernt mit den Jahren, dass man ziemlich direkt mitbekommt, was geht und was nicht geht, wo der Rahmen ist, was die Grenzen sind. Anders als in der Wirtschaft erhält man dafür auch viel positives Feedback. Auf diese Weise kann man sehr schön beleuchten: Es ist vielleicht nicht immer angebracht, nur die negativen Dinge aufzuzeigen. Vielmehr sollte ebenso aufgezeigt werden, was gut ist, worin Potenzial steckt, wie man dieses nutzen kann und so weiter. Auf dem Feld wird so oder so sehr direkt miteinander gesprochen und es wird sich auch nicht gerechtfertigt. Für sich selbst sollte man Feedback unbedingt annehmen und sich das herausziehen, wo man selber das Gefühl hat: Das hilft mir. Rückmeldungen empfinde ich als sehr wichtig, denn nur so kann man sich weiterentwickeln und weiss, wo man steht.