„Es ist zum wahnsinnig werden: Ich liege nachts wach und kann nicht abschalten.“ In meiner Arbeit mit Führungskräften unterschiedlicher Stufen, erlebe ich immer wieder, dass Menschen unter großem Druck stehen – aus verschiedenen Richtungen: Auf der einen Seite aus beruflichen Gründen, auf der anderen Seite auch aus privaten. Und in vielen Fällen ist es eine Kombination aus beidem. Kennen Sie das auch?
Unkontrolliertes Denken ist eine Gewohnheit
Es gehen Dinge im Kopf herum, die einen beschäftigen, die einen einfach nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Gedanken kreisen um ein Problem wie Motten um eine Laterne in der Nacht. Diese Gedanken erzeugen etwas, das ich gerne „Problem-Trance“ nenne: Man kommt in einen Zustand, wo sich das Denken quasi eigendynamisch um dieses Problem dreht, was einen gefangen hält. Unkontrolliertes Denken ist für die meisten von uns aber nicht viel mehr als eine schlechte Gewohnheit.
Die Gedanken sind dabei wie ein junger Hund, den man von der Leine lässt: Er tut was er will. Von einer Ecke in die andere. Von einem Gedanken zum nächsten. Und das Ganze schaukelt sich hoch.
Mit dem Aufwachen ist der Tag schon ruiniert
Folgendes kennen Sie sicher auch: Sie wachen morgens auf, haben die ersten 3 oder 4 Sekunden Ruhe, dann kommt der erste Gedanke ... zack! Was ist heute für ein Tag? Mittwoch. Ach ja, das Meeting heute Nachmittag mit dem Chef. Wie werde ich das bloss überleben? Und dann folgt ein Gedanke auf den anderen. Sollten Sie zu früh aufgewacht sein, ist an weiteren Schlaf nicht mehr zu denken.
Studien haben gezeigt, dass wir zehntausende einzelner Gedanken am Tag denken. Genauer betrachtet sind die meisten davon Wiederholung. Vieles davon ist eher negativ behaftet, also sorgenvoll, was die Zukunft, oder bereuend, was die Vergangenheit betrifft. Nur wenig ist wirklich zielgerichtet.
Unser Verstand – ein wunderbares Instrument!
Unser großes Glück ist: Wir Menschen besitzen unsere intellektuelle Intelligenz, mit der wir Probleme lösen, komplexe Themen klären und Herausforderungen bewältigen können – solange unser Verstand zielgerichtet genutzt wird. Lassen wir ihn unkontrolliert laufen, passiert das oben Beschriebene. Dass wir häufig negativ denken, liegt an unserer Evolution. Aus Überlebens- und Selbstschutzgründen lenken wir unsere Aufmerksamkeit stärker auf Dinge, die einen bedrohlichen Charakter haben können. Das führt zu einer negativen Verzerrung in unserem Denken und in Folge in unserer Wahrnehmung.
Es gibt eine Untersuchung, die zum Fazit gekommen ist: The wandering mind is an unhappy mind. Also der wandernde – der ungezügelte – Geist ist in der Regel ein unglücklicher Verstand. Macht also nicht unbedingt glücklich und zufrieden.
Sie sind nicht Ihr Verstand!
Und jetzt kommt die gute Nachricht: Sie sind nicht Ihr Verstand, Ihr Denken. Das Denken ist einfach nur ein Prozess. Ein Prozess, der unkontrolliert abläuft und von dem Sie sich auch distanzieren können. Sie können eine Beobachterposition einnehmen. Das bedeutet: Sie verstricken sich nicht mehr in Ihrem Denken, sondern gehen mit jedem Gedanken mit. Der Vorteil: Sie können aussteigen. Jederzeit.
Stellen Sie sich das vor, als wäre Ihr Denken ein reißender Fluss, der den ganzen Tag fließt. Das ist völlig in Ordnung. Der Verstand hat ja auch die Aufgabe zu denken, Gedanken zu produzieren. Nur Sie müssen nicht die ganze Zeit in diesem reißenden Fluss mitschwimmen und versuchen, nicht unterzugehen. Sie müssen auch nicht gegen den Strom schwimmen, weil Sie gegen Ihr Denken ankämpfen wollen. Vielmehr können Sie ganz einfach zum Ufer schwimmen, aussteigen, sich an den Rand setzen und beginnen, Ihr eigenes Denken zu beobachten. Sie müssen nicht mehr jeden einzelnen Gedanken aufgreifen. Oder anders gesagt: Sie müssen nicht alles glauben, was Sie denken.
Mein Tipp: Gedanken zählen
Ein hilfreiches Gedankenspiel, um besser einzuschlafen zu können, ist Gedanken zählen statt Schäfchen. Stellen Sie sich vor, Sie liegen im Gras, schauen in den Himmel und jeder Gedanke ist eine Wolke, die vorbeizieht. Zählen Sie einfach. Schauen Sie einfach nur zu. Ohne jeden Gedanken aufzugreifen. Das kann am Anfang etwas schwierig sein, doch es ist eine Frage der Übung.
Je mehr es Ihnen gelingt, auf diese Art und Weise Ihre Achtsamkeit und Präsenz schulen und zu entwickeln, desto mehr konditionieren Sie Ihr Gehirn auch auf diesen Zustand, sodass Sie künftig nicht mehr auf jeden Gedanken reaktiv reagieren müssen. Sie können auch durchaus mal entspannt einfach nur wahrnehmen, dass Sie sich Sorgen machen und die Sorgen einfach Sorgen sein lassen können. Und Sie werden sehen, damit fällt es auch sehr viel leichter, abends einzuschlafen. Und Sie können sicher sein, die Gedanken sind am nächsten Morgen wieder da. Sie gehen nicht verloren. Sie werden auch nichts verpassen, wenn Sie nicht mehr mit jedem Gedanken mitgehen.
Viel Erfolg damit.