Der direktive, autoritäre Führungsstil hat seine Wurzeln im Industriezeitalter und wirkt in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts, die von einer immer größeren Anzahl Mitarbeiter der Generation Y geprägt ist, zunehmend überholt. Einer meiner Klienten, der ehemalige Landes-CEO eines großen multinationalen Unternehmens, verließ dieses nach Jahren schlussendlich, weil er sich nicht mehr mit dessen Führungskultur identifizieren konnte. Laut ihm war das selbstständige Mitdenken der Mitarbeiter nicht nur „nicht notwendig“ – es war sogar unerwünscht. Bei ihm führte dieses Umfeld derart zu inneren Spannungen und Konflikten, dass er beschloss, zu gehen.
Funktioniert eine solche Führungskultur auch heute noch?
Ja, sie funktioniert – bis zu einem gewissen Punkt. Und ich sage nicht, dass sie falsch ist. Viele solcher Organisationen – so auch die eben erwähnte – sind äußerst profitabel und generieren hohen Shareholder Value. Doch es drängt sich die Frage auf: ist dies das einzige Erfolgskriterium und was ist der Preis dafür? Typischerweise sind die Konsequenzen unter anderem eine hohe Personalfluktuation und eine geringe Mitarbeiterloyalität. Diese sind für das Unternehmen jedoch wiederum nur von relativer Bedeutung, wenn neue Bewerber für die gut bezahlten Jobs Schlange stehen.
Am anderen Ende des Spektrums gibt es eine zunehmende Zahl von Führungskräften und Unternehmern, die ein partnerschaftliches Führungsverständnis leben: indem sie einen Rahmen schaffen, in dem jeder Mitarbeiter und das Team als Ganzes bestmögliche Leistung erbringen kann. Bei dieser Art der Führung geht es in erster Linie um die Mitarbeiter, nicht um den Vorgesetzten. Oder wie Warren Bennis, der erst kürzlich verstorbene Autor und Leadership Pionier einmal sagte:
“Gute Führungskräfte geben ihren Mitarbeitern das Gefühl, im Zentrum der Dinge zu stehen, nicht an der Peripherie”
Führung bekommt unter diesem Gesichtspunkt sogar durchaus Dienstleistungscharakter. Ich habe dieses Prinzip in Unternehmen schon hervorragend umgesetzt gesehen. Von einem Vorgesetzten verlangt es vor allen Dingen Vertrauen und die Bereitschaft, Kontrolle abzugeben, wo und wann es angebracht ist. Situativ zu erkennen wann dies der Fall ist und wann wie viel Kontrolle und direktives Führen nötig sind, gehört zu den Führungskompetenzen, die in der heutigen Arbeitswelt immer wichtiger werden. Autorität muss da sein, wenn sie gebraucht wird. Aber Autorität alleine ist nicht ausreichend, um Mitarbeiter zu Partnern zu machen.
Führen wie die großen Dirigenten
Es gibt mittlerweile unzählige Analogien, die verwendet werden, um gute Führung zu beschreiben. Sie reichen vom Bergführer, der seine Seilschaft sicher auf den Gipfel bringt bis zum Skipper, der mit seiner Crew erfolgreich eine Regatta bestreitet. Eine meiner liebsten Metaphern ist aber die des Dirigenten, der sein Orchester leitet.
Neben den offensichtlich notwendigen musikalischen Fähigkeiten, sind beim Zusammenspiel in einer Band oder einem Orchester auch eine Reihe anderer Fähigkeiten nötig, die auch im Arbeitsumfeld hilfreich sind – besonders wenn es um die Zusammenarbeit im Team geht. Es ist hilfreich, in einem entspannt wachen Zustand und gleichzeitig fokussiert sein. Man muss auf seine Kollegen hören, um sicherzustellen, dass man mit ihnen verbunden, im Gleichklang und im Takt ist. Man muss sein Instrument beherrschen und natürlich nicht zuletzt, sich am Dirigenten orientieren.
Was tut ein Dirigent, wenn er oder sie ein Orchester dirigiert?
Übt er Kontrolle aus und befiehlt seinen Musikern, was sie zu tun haben? Oder schafft er oder sie eher einen Raum, in dem Harmonie entstehen kann? Die Antwort ist: Ja. Beides ist möglich. In seinem fantastischen <LINK www.ted.com/talks/itay_talgam_lead_like_the_great_conductors _blank "external-link-new-window" "Opens external link in new window">TED Talk</link> aus dem Jahr 2009 zeigt Itay Talgam, ein ehemaliger Dirigent und Schüler des großen Leonard Bernstein, die große Bandbreite von Stilen auf, in denen ein Dirigent sein Orchester führen kann. In verschiedenen kurzen Filmausschnitten zeigt er einige der größten Dirigenten bei ihrer Arbeit: Da ist einerseits Riccardo Muti, der sein Orchester mit starker Hand und sehr viel Kontrolle führt und dabei klar signalisiert, dass er das Sagen hat. Da ist andererseits Herbert von Karajan, der in einem fast meditativ anmutenden Zustand die Musik genießt. Und dann ist da natürlich der große Meister Leonard Bernstein selbst, der die Kontrolle komplett abgibt, seinem Orchester voll vertraut und damit ein schönes Beispiel davon gibt, wie man „tut ohne zu tun“.
Ist ein Stil besser, als der andere?
Ich denke, man darf es nicht so schwarz oder weiß sehen. Herr Muti, heute in seinen Siebzigern, ist mit Sicherheit einer der größten lebenden Dirigenten – und von Karajan und Bernstein waren schon zu Lebzeiten Legenden. Sie alle waren und sind erfolgreich. Und doch könnten ihre Führungsstile unterschiedlicher nicht sein, mit entsprechend unterschiedlichen Auswirkungen auf die Menschen, die unter ihnen spielten: So musste Riccardo Muti 2005 infolge eines Misstrauensvotums aller Orchestermusiker und –Mitarbeiter von seinem Posten als Chefdirigent an der Mailänder Scala zurück treten. Laut Talgam beschwerten sich die rund 700 musikalischen Mitarbeiter der Scala darüber, dass sie nicht genügend Entwicklungsmöglichkeiten bekamen und sich stattdessen wie Instrumente behandelt fühlten, statt wie Partner. Die Frage ist also: zu welchem Preis bin ich als Leader erfolgreich und wie definiere ich meinen Erfolg?
Was braucht es, damit ein partnerschaftlicher Führungsstil funktioniert
Wenn wir uns ein professionelles Orchesters wie die Wiener Philharmoniker ansehen, so wird eines offensichtlich: jeder Mitspieler ist ein Profi, ein Meister seines Instruments und zwar in dem Masse, dass er oder sie nicht mehr bewusst darüber nachdenken muss, was zu tun ist. Stattdessen entsteht ein Flow-Zustand, in dem jeder Musiker ganz präsent und mit seinem Instrument und seinen Kollegen verbunden ist. Offensichtlich sind dafür sehr viel Training und Übung nötig, sowie ein klarer Rahmen mit ebenso klaren Spielregeln. Jeder Spieler weiß genau, was zu tun ist, hält sich an die Regeln und spielt nach den Noten. Innerhalb dieses Rahmens gewähren Dirigenten wie Bernstein jedoch sehr viel Raum für Interpretation, was dem einzelnen Spieler wiederum die Möglichkeit gibt, sich persönlich einzubringen und sein ganzes Potenzial zu leben.
Um es mit einem Zitat Herbert von Karajans zu sagen:
„Das Schlimmste, was ich meinem Orchester antun kann, ist ihm eine klare Anweisung zu geben. Es würde das ‚Ensemble’ behindern, das aufeinander Hören, das ein Orchester braucht.“
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