Erster Eindruck – Vorsicht Falle!

Verläuft das erste Zusammentreffen mit einem neuen Kollegen, Mitarbeiter oder Kunden nicht gerade positiv, wächst das Risiko, dass sie zuschnappt: die Vorurteile-Falle. Der erste Eindruck prägt unser Bild von Personen oder Situationen und damit auch unsere künftigen Erwartungen an diese. Das kann zum Stolperstein werden.

Mit den Teilnehmern meiner Leadership- und Kommunikationstrainings mache ich gerne das folgende Experiment: ich bitte sie zuerst, eine bestimmte geometrische Form zu zeichnen und dann einen Teil davon nach meiner Vorgabe zu unterteilen. Diese Aufgabenstellung ist recht komplex und überfordert die meisten Menschen derart, dass es selten jemand schafft. Ich lasse die Gehirne einen Moment lang rauchen und erlöse die Gruppe dann, indem ich die logische Lösung aufzeige. Ein Raunen geht durch den Raum und die Teilnehmer malen die Lösung beeindruckt nach.

Dann kündige ich den zweiten Teil des Experiments an: ich bitte die Teilnehmer erneut, eine ähnliche geometrische Form zu zeichnen und diese wieder nach meiner Vorgabe zu unterteilen. Dieses Mal variiere ich die Aufgabenstellung jedoch so, dass sie kinderleicht ist. Interessanterweise kommt jedoch auch jetzt selten jemand auf die Lösung. Im Gegenteil: Erwachsene, intelligente und gut ausgebildete Männer und Frauen blicken angestrengt auf ihre Zeichnung, kratzen sich am Kopf und verzweifeln fast ob dieser vermeintlich schwierigen Aufgabe. Meist warte ich nicht allzu lange und erlöse die Teilnehmer, indem ich ihnen die Lösung wieder aufzeige. Nun sind das Staunen und die Überraschung natürlich noch grösser, insbesondere ob der eigenen Unfähigkeit, auf diese kinderleichte Lösung zu kommen.

Was ist passiert?

Entscheidend bei diesem Experiment ist neben der eben beschriebenen Erfahrung die anschließende Diskussion. Schritt für Schritt gehen ich mit der Gruppe das Erlebte durch: Die Teilnehmer machen mit der ersten, komplexen Aufgabenstellung eine erste Erfahrung. Sie erleben diese als schwierig und sind damit überfordert. Nachdem sie die Lösung gezeigt bekommen, treffen sie eine erste, in diesem Fall verhängnisvolle Annahme: „Aha, hier geht es offenbar um komplexe geometrische Aufgabenstellungen, die mich offensichtlich überfordern.“ Nachdem der zweite Teil des Experiments angekündigt wird, treffen viele eine weitere, ebenso falsche Annahme: „Aha, jetzt wird es wahrscheinlich noch schwieriger!"

Diese beiden auf der ersten Erfahrung basierenden Annahmen und die damit verbundenen Erwartungen, legen sich in diesem Moment wie ein Schleier vor die Augen der Teilnehmer. Sie wirken wie ein Filter, durch den die zweite Aufgabenstellung anschließend wahrgenommen wird. Dieser Filter verhindert einen unvoreingenommenen und deshalb klaren Blick auf die Einfachheit der Aufgabe. Würde man den ersten Teil der Übung weg lassen, würde diese natürlich sofort und problemlos gelöst.

Die Kognitionspsychologie bezeichnet dieses Phänomen als „Bestätigungsfehler“ (Engl: confirmation bias) und meint damit die menschliche Neigung, Informationen so auszuwählen, zu suchen und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen. Unbewusst ausgeblendet werden dabei Informationen, welche die eigene Erwartung widerlegen.

Wo sind nun die Parallelen und Zusammenhänge zum „richtigen“ Leben?

Das Experiment zeigt anschaulich, wie schnell Vorurteile und vorgefasste Meinungen entstehen und wie diese uns daran hindern können, die Dinge unbelastet zu sehen: Stellen Sie sich z. B. vor Sie machen eine Erfahrung mit einem neuen Kollegen, Kunden, oder Mitarbeiter. Vielleicht stört oder verärgert Sie dabei etwas und es entsteht bei Ihnen dadurch ein bestimmter erster Eindruck dieser Person. Einige Zeit später kommen Sie in ein Meeting – und wer sitzt da? Natürlich besagte Person. Wenn Sie in diesem Moment nicht sehr bewusst und achtsam sind, legt sich der Filter Ihrer ersten Erfahrung vor Ihre Augen und trübt den Blick auf die Person und damit die Situation. Im schlimmsten Fall sehen Sie gar nicht den Menschen, der da vor Ihnen sitzt, sondern nur Ihr Konzept, das Sie bereits von ihm haben. Schlimmer noch: Sie verhalten sich auch entsprechend diesem Konzept. Vielleicht hatte er oder sie bei der ersten Begegnung aber einfach nur einen schlechten Tag, oder Sie selbst hatten einen schlechten Tag und Ihre Wahrnehmung war deshalb schon entsprechend getrübt.

Das gilt natürlich nicht nur für Menschen, sondern auch für Situationen. Haben wir eine Situation einmal in einer bestimmten Art erlebt, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass wir ähnliche Situationen aufgrund unserer Erfahrung künftig gleich einschätzen und wahrnehmen, auch wenn sie sich vielleicht in wesentlichen Dingen unterscheiden. Grundsätzlich ist dagegen ja auch nichts einzuwenden, denn Erfahrung hilft uns, mit der Komplexität der Welt besser umzugehen. Entscheidend dabei ist aber, dass wir uns darüber bewusst sind, dass die eigene Erfahrung eben auch ein Stolperstein sein kann und uns einen frischen, unverfälschten Blick auf die Dinge erschwert.

Doch was können wir aktiv tun, damit uns die eigene Erfahrung weniger oft in den Weg kommt? Wir brauchen dafür in erster Linie zwei Dinge: Bewusstsein für die eigenen Filter und einen regelmäßigen „Reset“. 

1. Werden Sie sich ihrer eigenen Filter bewusst

Machen Sie sich immer wieder bewusst, dass sich Ihre Erfahrung auch negativ auswirken  und Sie behindern kann. Erkennen Sie, dass vorgefasste, fixe Meinungen und Vorstellungen Ihnen die Sicht auf das Wesentliche versperren können. Diese Erkenntnis alleine ist schon die halbe Miete.

2. Setzen Sie Ihre Filter regelmäßig zurück

Achten Sie möglichst oft bewusst darauf, ob Sie vielleicht gerade mit einer vorgefassten Meinung, oder einer fixen Vorstellung in eine Situation, oder auf einen Menschen zu gehen. Falls Sie dies bemerken, drücken Sie in Gedanken Ihren „Reset-Knopf“, indem Sie bewusst alles Vorgefasste zur Seite legen und stattdessen versuchen, frisch und aufmerksam hinzusehen. Der viel zitierte „Anfängergeist“ eignet sich dazu als Grundhaltung ausgezeichnet. Sie geben damit jedes Mal sich, der Situation und allen involvierten Menschen eine neue Chance.

Dass sich dieser bewusste und achtsame Umgang mit den eigenen Wahrnehmungsfiltern auf die Qualität zwischenmenschlicher Interaktion positiv auswirkt, ist offensichtlich. Überall dort, wo Beziehungen eine Rolle spielen, also besonders in der Mitarbeiterführung, im Verkauf und Kundendienst und grundsätzlich in jeder Art von Zusammenarbeit und Zusammenleben, eignet sich dieses einfache Prinzip dazu, die Qualität dieser Beziehungen maßgeblich und dauerhaft zu verbessern.

 

Weitere Beispiele und Informationen zum Thema gibt es auf <LINK de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Verzerrung _blank "external-link-new-window" "Opens external link in new window">Wikipedia</link>, oder bei Project Implicit, einer sehr interessanten Online-Sammlung von <LINK implicit.harvard.edu/implicit/swissde/ _blank "external-link-new-window" "Opens external link in new window">Impliziten Assoziations-Tests</link> (IAT) der Universität Harvard. Buchempfehlungen dazu sind “Blindspot: Hidden Biases of Good People” von Mahzarin and Greenwald, zwei Mitbegründern von Project Implicit sowie ein kürzlich veröffentlichter Artikel in der NYTimes von Howard J. Ross (beides in Englisch).