Es ist Ihnen vielleicht wichtig, weniger als bisher im »Autopiloten-Modus« durch den Alltag zu hasten, sondern vielmehr das eine oder andere Mal die Dinge zu überdenken und dann bewusst zu handeln. Hierfür möchte ich Ihnen einen Lernprozess vorstellen, der klassischerweise aus vier Stufen besteht. Plus einer weiteren, die ich persönlich gerne hinzufüge:
1. Stufe: Unbewusste Inkompetenz
Sie wissen noch gar nicht, dass Sie auf einem bestimmten Gebiet (noch) nicht kompetent sind. Ein angenehmer Zustand.
2. Stufe: Bewusste Inkompetenz
Sie haben erkannt, dass Sie auf einem bestimmten Gebiet noch nicht ausreichend kompetent sind und entscheiden sich dazu – etwa durch eine Weiterbildung – die Lücke zu schliessen und damit die nächste Stufe zu erreichen.
3. Stufe: Bewusste Kompetenz
Es gelingt Ihnen, Ihre neu erworbenen Fähigkeiten anzuwenden, Sie müssen dies jedoch bewusst tun, was durchaus noch mit einem gewissen Kraftaufwand verbunden sein kann.
4. Stufe: Unbewusste Kompetenz
Die neue Kompetenz ist integriert und Sie setzen die neuen Fähigkeiten bereits automatisch um. Die Veränderung in Ihrem Verhalten wirkt zunehmend ungezwungener und natürlicher.
5. Stufe: Bewusste unbewusste Kompetenz
Sie werden sich Ihrer automatisierten Verhaltensweisen bewusst und können rückblickend reflektieren, in welchen Situationen Sie intuitiv und mit mehr Bedacht als noch vor einiger Zeit agiert haben.
Change is pain
Eine solche persönliche Entwicklung wird Ihnen vermutlich einiges an Willenskraft, Anstrengung und Durchhaltevermögen abverlangen. Der Lernprozess wird in aller Regel nicht bequem auf dem Sofa stattfinden. Gewiss werden Sie dazu Ihre Komfortzone, in der Sie sich auskennen und sicher fühlen, immer wieder verlassen müssen. Knapp außerhalb dieser Komfortzone befindet sich Ihre Ausdehnungszone, in der Sie neue Erfahrungen machen und daraus lernen können. Dieser Bereich kann sich für Sie durchaus zu einem spannenden aber immer noch kontrollierbaren Übungsfeld entwickeln.
Veränderungen im Verhalten erfolgreich zu verankern, funktioniert so ähnlich, als ob Sie im Sport ein neues Level der Fitness erreichen möchten: Konsequentes Training, das vorhandenes Potenzial entwickeln soll, bedeutet Anstrengung und kann manchmal sogar schmerzhaft sein. Für Ihr Gehirn ist der Grundsatz »Change is pain« eine der Grundlagen für Veränderungen. Der Schmerz in Form von physiologischer Anstrengung bewirkt eine Umbildung von Netzwerken im Gehirn. Und genau deshalb ist es so wichtig, dass Sie immer wieder den Schritt aus der Komfortzone hinein in die Ausdehnungszone wagen. Im besten Fall stellen Sie sich beherzt den Herausforderungen und begegnen dem damit einhergehenden leichten Unbehagen positiv. Je öfter Sie in Ihre Ausdehnungszone hinausgehen und sich neuen Erfahrungen stellen, desto größer wird mit der Zeit Ihre Komfortzone: Situationen, die Ihnen früher unangenehm waren, werden mit wachsender Vertrautheit weniger bedrohlich. Wenn es Ihnen beispielsweise schwerfällt vor vielen Menschen zu sprechen, werden Sie an Sicherheit gewinnen, je öfter Sie sich der vermeintlich bedrohlichen Situation stellen. Das Präsentieren wird für Sie nach und nach zur Routine und damit zu einem Bestandteil Ihrer neuen, erweiterten Komfortzone.
Wichtig dabei ist, sich nicht in die »Panikzone« zu manövrieren, den Bereich, für den Ihnen möglicherweise die Kompetenzen, das Wissen und vielleicht auch das Potenzial fehlen, um sich auf diesem Gebiet einen Schritt weiter zu entwickeln. Sollten Sie also beispielsweise auf die Idee kommen, in einem Stadion vor mehr als 10.000 Menschen über ein Thema zu sprechen, von dem Sie bisher nur wenig Ahnung haben, werden Sie wahrscheinlich Gefahr laufen, sich mit einem solchen Schritt selbst zu überfordern und – an der Aufgabe zu scheitern. Die Folge wird sein, dass Sie sich entmutigt zurückziehen und fortan kaum mehr wagen werden, Ihre Komfortzone in diesem Thema zu verlassen.
Neue Gewohnheiten etablieren
Damit neue Denk- und Verhaltensmuster, also neue Gewohnheiten entstehen, müssen sich im Gehirn neue neuronale Pfade bilden. Der Bereich in unserem Gehirn muss zunehmend das neue Verhalten übernehmen, der für Routineaktivitäten zuständig ist, die uns keine große mentale Aufmerksamkeit abverlangen. Wird ein Verhalten oder eine Tätigkeit oft genug wiederholt, bildet sich irgendwann ein solcher neuronaler Pfad, der dafür sorgt, dass unsere Reaktionen auf bestimmte Situationen automatisch und unbewusst erfolgen – und damit auch weniger Energie benötigen. Ganz ähnlich funktioniert das beispielsweise beim Autofahren. Nach einigen Jahren Fahrpraxis sind wir in der Lage, während der Fahrt über komplexe Themen nachzudenken und gleichzeitig – zu einem grossen Teil unbewusst – das Auto richtig zu bedienen. Das erfordert allerdings Zeit, häufige Wiederholung, Disziplin und vor allem Geduld, denn im Schnitt dauert es 60 – 70 Tage, bis sich nach konsequenter Anwendung neuer Verhaltensweisen die entsprechenden neuen Verbindungen im Gehirn bilden und eine neue Gewohnheit entsteht.
Die Forschung kann inzwischen nachweisen, dass unser Verhalten grösstenteils aus Gewohnheiten und automatischen, unbewussten Reaktionen auf unser Umfeld besteht. Nur ein kleiner Teil wird durch unseren bewussten Willen beeinflusst. Daher ist es wichtig, für nachhaltige Veränderung den Schritt von der Willenskraft zu neuen Gewohnheiten und Verhaltensmustern zu machen. Denn je weniger Sie über etwas nachdenken müssen, desto mehr Energien und Ressourcen bleiben Ihnen für andere Dinge. Zum Beispiel dafür, sich der nächsten Herausforderung zu stellen und Ihre Interaktionen noch weiter zu verbessern. Legen Sie dabei den Fokus auf Ihre Ziele und neuen Absichten, statt auf die vermeintlichen Schwächen und die Gewohnheiten, die Sie loswerden wollen. Halten Sie es wie Sokrates, der schon vor mehr als 2.000 Jahren erkannt hat: »Das Geheimnis der Veränderung ist, alle Energie nicht auf die Bekämpfung des Alten zu legen, sondern auf den Aufbau des Neuen.«
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